Denkenlernen Curriculum
Ausgang aus der Agonie unserer Gegenwart
Die Weisheit der Griechen
Programm und Infos
Hintergrund und Bedeutung
Wir leben in einer Zeit der geistigen Agonie. Inmitten von Dauerkrisen, Überforderung, Informationsflut und Wertezerfall geraten nicht nur Einzelne ins Wanken – auch unsere Organisationen, unsere Gesellschaft und unsere Politik geraten immer tiefer in den Zustand der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Strategien greifen ins Leere, Entscheidungen verlieren an Durchsetzungskraft und Nachhaltigkeit, Vertrauen zerfällt.
Diese Agonie ist kein Zufall – sie ist das Ergebnis eines schleichenden Verlustes des Denkens. Gemeint ist nicht das funktionale, instrumentelle Denken, das nur auf Kontrolle und Verwertung zielt. Gemeint ist das ursprüngliche philosophische Denken, das nach dem Wesen fragt: nach dem, was gut, wahr, gerecht, sinnvoll ist. Dieses Denken – das Staunen, das Fragen, das gemeinsame Ringen um Wahrheit – ist fast verstummt.
Doch genau in diesem Verstummen liegt der Schlüssel.
Unsere Hypothese lautet:
„Im Denken der alten Griechen finden wir den geistigen Ausgang aus der Agonie unserer Gegenwart. Im Maßnehmen am lebendigen Sein der Welt können Gesellschaft und Wirtschaft wieder begeistert werden.“
Mit einer Rückbindung an die griechische Seins-Philosophie können wir das Denken neu lernen. Die Philosophie der Antike – von den Vorsokratikern über Sokrates, Platon und Aristoteles – bietet keine Rezepte. Aber sie eröffnet Räume des Verstehens, in denen wir neu lernen können, was es heißt, Mensch zu sein – lebendig, verantwortlich, frei, denkend. Sie führt uns zurück zu den Grundfragen:
- Was ist das Sein, jenseits von Funktion?
- Was ist das Gute, jenseits von Nützlichkeit?
- Was ist das Wahre, jenseits von Profit?
- Was ist das Gerechte, jenseits von Macht
- Was ist der Geist, jenseits von Intention?
- Was ist Lebendigkeit, jenseits von Agonie?
Diese Fragen betreffen nicht nur das Individuum. Sie sind unverzichtbar für Gesellschaft, Führung, Beratung, Bildung und Politik.
Ziele des Lehrgangs
- Einführung in die Hauptströmungen und Schlüsselbegriffe der griechischen Philosophie Auseinandersetzung mit zentralen Denkfiguren (Sokrates, Platon, Aristoteles, Vorsokratiker)
- Übertragung antiker Denkweisen auf aktuelle Herausforderungen in Gesellschaft, Organisation und Führung
- Förderung von dialogischem, kritischem, ethischem, hermeneutischem Denken als Grundlage für Orientierung und Urteilskraft
- Entwicklung einer inneren Haltung, die Sicherheit auch im Nichtwissen findet
Für wen ist dieser Lehrgang gedacht?
Für alle, die spüren, dass wir einen neuen Anfang brauchen – und dass dieser nur gelingen kann, wenn wir das Denken wieder lernen. Wir laden besonders Entscheiderinnen und Entscheider, Beraterinnen und Berater, Lehrende, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Gestaltende in Organisationen, Institutionen und Politik ein, sich auf diese Reise einzulassen. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich – nur Offenheit, Staunen und der Wunsch nach geistiger Tiefe.
In diesem Sinne, ist dieser Lehrgang auch eine Voraussetzung für die lebendigen Denkräume der Akademie 3. Hier wird diese Art des Denkens praktiziert und gefördert.
Ausbildungsleitung und Lehrende
Dr. phil. Christoph Quarch, ggf. Gastdozenten
Was ist das Sein, jenseits von Funktion?
Denken als Grundlage für Orientierung und Urteilskraft
Was ist Lebendigkeit, jenseits von Agonie?
- Vorträge
- Generieren von Forschungsfragen
- Philosophieren als Dialog
- Hermeneutische Dialogarbeit
- Textlesungen und Interpretationen
- Aufgabenbearbeitung im Selbststudium zwischen den ModulenAufbau
Aufbau
Das Curriculum erstreckt sich über neun Monate. Es setzt sich zusammen aus vier Präsenzveranstaltungen (Donnerstagmittag bis Samstagmittag), in denen wir dialogisch die Schätze des griechischen Geistes erkunden werden, und drei dazwischen geschalteten Online-Modulen zu jeweils vier Mal zwei Stunden. Die jeweiligen Online-Sessions werden durch individuelle Lektüre vorbereitet. Am Ende erhalten alle Teilnehmenden ein Zertifikat.
Modul 1 Präsenz:
Theos – Kosmos – Physis. Das griechische Licht
Im ersten Modul geht es darum, die Grundsignaturen des griechischen Geistes kennenzulernen. Dabei orientieren wir uns an der Metapher der Lichtung: In welchem Licht sahen die Griechen ihre Welt? Wie offenbarte sich ihnen das Sein? Die zentrale Rolle dabei spielt der Mythos. Durch ihn erschließt sich eine allgegenwärtige Sinnhaftigkeit, die die Griechen in Gestalt ihrer Götter und Göttinnen verehrten. Im Lichte des Mythos erweist sich die Welt als Kosmos: als schöne, wahre und gute Ordnung.
Datum | ||
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19.03.26 | Alētheia | Das griechische Ereignis der Wahrheit |
20.03.26 | Theós | Die religiöse Urintuition der Griechen |
20.03.26 | Mýthos | Die Mythologie als Protophilosophie |
21.03.26 | Kósmos | Die philosophische Urintuition |
Modul 2 digital: Werden – Sein – Geist. Die Anfänge der Philosophie
Wir beschäftigen uns mit den Anfängen der griechischen Philosophie und den unterschiedlichen Anläufen, das Sein und Wesen des Kosmos begrifflich zu fassen. Dabei rückt der Begriff der phýsis in den Fokus des Denkens. Phýsis wird mit Natur übersetzt, bedeutet aber sehr viel mehr: das Wachsen und Wesen alles Seienden. So öffnet sich der Horizont für ein neues Naturverständnis und eine veränderte Akzentsetzung der Naturwissenschaft. Griechisch gedacht ist deren Gegenstand nicht primär eine exakte Erklärung der Naturvorgänge, sondern das Erkunden der wichtigsten Spielregeln der lebendigen Welt: dessen, was auf Griechisch lógos heißt. In vier Online-Seminaren lernen Sie die wichtigsten Vertreter der vorsokratischen Philosophie kennen: die Gründer Thales, Anaximander und Anaximenes, die überragenden Denker des frühen 5. Jahrhunderts Heraklit und Parmenides, sowie Anaxagoras und Empedokles.
Datum | ||
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Phýsis | Thales, Anaximander und der Beginn der Wissenschaft | |
Lógos | Heraklit und die Spielregeln des Lebens | |
Eînai | Parmenides und die Offenbarung der Wahrheit | |
Noûs | Empedokles, Anaxagoras und die heimliche Ordnung |
Modul 3 Präsenz:
Lebendigkeit – Tugend – Sinn: Die Philosophie Platons
Seine reifste Ausprägung findet der altgriechische Geist in der Philosophie Platons, die uns beim zweiten und dritten Präsenzwochenende beschäftigen wird. Indem er das Wesen (die phýsis) des Kosmos als Lebendigkeit (psychē) deutet, gelingt es Platon, die Weisheit der mythischen Zeit in die Sprache der Philosophie zu retten. Dabei kreist sein Denken immer um die eine Frage: Wie können wir als Individuen und als Gesellschaft ein gutes Leben führen. Die Antwort gibt er mit seiner Tugendethik, die eine attraktive und erfrischende Alternative zu der heute in Geltung stehenden, oft aber kraftlosen Wertethik bietet: eine Ethik, die nicht an unseren Willen, sondern an unseren Geist adressiert ist.
Datum | ||
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14.05.26 | Psychē | Platons Metaphysik der Lebendigkeit |
15.05.26 | Aretē | Platons Tugendethik |
15.05.26 | Agathón | Platons „Idee des Guten“ |
16.05.26 | Eídos | Platons Ideenphilosophie |
Was ist das Gute, jenseits von Nützlichkeit?
Was ist das Wahre, jenseits von Profit?
Modul 4 digital: Weisheit – Bildung – Dialog: Bildung und Weisheit
Die Frage nach dem guten Leben lässt sich für Platon nicht allein dadurch beantworten, dass man die Tugenden des Menschseins identifiziert und reflektiert. Vielmehr bedarf es eines Prozesses der Einübung bzw. Bildung (paideía), kraft derer der Mensch zu einem praktischen Verständnis des Guten gelangt. Das bevorzugte Mittel dafür ist der sokratische Dialog, der einerseits darauf angelegt ist, Denkblockaden zu überwinden und hinderliche Denkgewohnheiten preiszugeben, und andererseits einen Freiraum des Verstehens öffnet, in dem sich der Sinn des Menschseins erschließt. Neben dem Dialog setzt das griechische Denken auf die inspirierende Kraft der Kunst. Von Sokrates lernen wir ein Kunstverständnis, das dazu angetan ist, die Krise der Gegenwartskunst zu verstehen und zu überwinden.
Datum | ||
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Sophía | Sokrates‘ „wissendes Nichtwissen“ | |
Diálogos | Sokrates philosophische Methode | |
Paideía | Platons Höhlengleichnis | |
Mousikē | Sokrates über die Kunst |
Modul 5 Präsenz:
Schönheit – Eros –Spiel: Platonische Lebenskunst
Eine Schlüsselrolle im Denken der Griechen spielt die Schönheit. Gilt Schönheit schon dem Mythos als Ausweis und Erscheinungsform des Göttlichen, so wird sie im platonischen Denken zur treibenden Kraft menschlicher Kreativität und Transformation. Denn die Schönheit adressiert die kraftvolle Vitalenergie des menschlichen Lebens: den Eros. Eros ist die treibende Kraft der Potenzialentfaltung, des Wachstums und der Blüte allen Lebens. Im griechischen Geist steht er dort, wo sich im neuzeitlichen Denken das Konzept des Willens festgesetzt hat. Doch anders als der Willen ist Eros eine spielerische und dialogische Kraft, die sich aus der Liebe zum Leben speist und auch noch in Leid und Tod einen Sinn zu gewahren vermag. Aus diesem Geist des Eros erschufen die Griechen die Tragödie.
Datum | ||
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10.09.26 | Aphrodite | Die griechische Erfahrung der Schönheit |
11.09.26 | Eros | Die treibende Kraft des Lebens |
11.09.26 | Spiel | Die Resonanz mit den Göttern |
12.09.26 | Tragödie | Die Feier des Lebens |
Modul 6 digital: Politik – Wirtschaft – Klugheit – Glück. Die Säulen des guten Lebens
Das griechische Denken schuf den Boden, auf dem das politische Denken und die Demokratie entstehen konnten. Wir erkunden die tragenden Grundbegriffe des politischen Denkens: Recht, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Freiheit. Sodann wenden wir uns dem ökonomischen Denken der Antike zu und lernen mit Hilfe von Aristoteles, dass Wirtschaften auch ganz anders aussehen kann als die uns vertraute neoliberale globale Ökonomie. Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft kommt es entscheidend darauf an, dass Menschen handlungsfähig sind. Dafür braucht es die Tugend der phronēsis, der Aristoteles das 6. Buch seiner Nikomachischen Ethik gewidmet hat. Sie zu entfalten, ist der sicherste Weg zu einem erfüllten und glücklichen Leben in eudaimonía. Was das konkret bedeutet bedenken wir zuletzt im Anschluss an Aristoteles, Epikur und die Stoiker.
Datum | ||
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Nómos | Solon, Platon und das politische Denken | |
Autarkeía | Wirtschaften im Dienst der Lebendigkeit | |
Phronēsis | Aristoteles und die Tugend des tätigen Lebens | |
Eudaimonía | Stoiker, Epikureer und das geglückte Leben |
Modul 7 Präsenz:
Denken – Handeln – Leben. Ein geistiges Paradigma für unsere Zeit
Das letzte Modul dient dazu, die Seinsphilosophie der Griechen für unser Leben fruchtbar zu machen. Wie lässt sich ein vom Geist der Griechen inspiriertes Denken in unserem Alltag implementieren? Wir entwerfen vor dem Hintergrund des griechischen Denkens ein zeitgemäßes Menschenbild, das eine neuerliche Rückbindung an das lebendige Sein erlaubt und uns ein sinnerfülltes Leben im Einklang mit der Natur (zēn katà phýsin) in Aussicht stellt. Dabei lassen wir uns von Denkerinnen und Denkern des 20. Jahrhunderts inspirieren: Martin Heidegger, Hannah Arendt, Max Horkheimer, Hans-Georg Gadamer, Martin Buber u.a.
Datum | ||
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19.11.26 | Mensch | Humanismus statt Posthumanismus |
20.11.26 | Lebendigkeit | Was Menschen Maschinen voraus haben |
20.11.26 | Verstehen | Was uns von jeder KI unterscheidet |
16.05.26 | Handeln | Wie Transformation nachhaltig gelingt |
Was ist das Gerechte, jenseits von Macht?
Was ist der Geist, jenseits von Intention?

Qualifizierungsjahrgang 2026
Kosten
Die Teilnahmegebühr beträgt 3.875, – € inclusive Readern zu den Lehrinhalten. Die Mehrwertsteuerbefreiung wird beantragt. Unterbringungs- und Verpflegungskosten während der Seminare sind von den Teilnehmenden selbst zu tragen.
Veranstaltungsort
Fulda und evtl. Lindau