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Wir Europäer, wir Frauen, Männer und alle Dazwischen, wir Zu- und Fortgereiste, wir aus dem Norden, Süden, Osten und Westen, von hier und da und dort, wir Lehrerinnen, die einst Schülerinnen waren, Schüler, die eines Tages Lehrer werden, wir FC-Bayern-, Dynamo-Kyiw- und AC-Mailand-Fans, wir Ballett-, Schuhplattler und Flamencotänzerinnen, wir, die Shakespeare, Goethe, Cervantes und Solar lesen, die Chopin, Französisch-Rap und spanische Gitarre hören, die konservativ und progressiv gesinnt sind, die Sliwowitz und Brännvin trinken, die Guláš und danach Pastel de Nata essen, wir träumen uns ein Europa …
In unserem Traum sehe ich uns in Gärten stehen, wo einst Parkplätze Mutter Natur zum Schweigen brachten. Dort, wo Menschen ihre Heimat durch Kohlebaggern verloren, sehe ich grüne Landschaften erblühen und höre Vögel singen. Aus breiten Straßen, die Städte trennten, sind grüne Alleen geworden, in denen sich Menschen aus Spanien, Serbien, Griechenland und Dänemark begegnen und in Abwesenheit von lauten Motoren durch die Städte dieses Kontinents flanieren. Aus Krankenhäusern wurden Gesundheitshäuser, die von Jahr zu Jahr weniger Menschen behandeln müssen, weil wir wieder in Einklang mit unserer Mitwelt leben, Kohle gegen Wind, Wasser und Sonne eintauschten und genügsam geworden sind. Denn wofür brauchen wir SUVs in Stadt und Land, wenn wir mit grünem Strom und neuer Technologie jeden Winkel unseres Kontinents erkunden können.
Einem Europa, in dem die digitale Transformation erfolgreich bewältigt und eine für alle erreichbare und verständliche digitale Infrastruktur gebildet wurde. Wir sehen Europäerinnen und Europäer, die eGovernance-Angebote nutzen können, künstliche Intelligenzen verstehen und anwenden können sowie digital administrative und kreative Aufgaben bewältigen. Wir träumen von einem Europa, in dem die Bürgerinnen und Bürger sich durch ein hohes digitales Verständnis und eine ausgeprägte Medienkompetenz auszeichnen. Wo sie auch den digitalen Raum kritisch hinterfragen, kollaborativ Neues entstehen lassen und sich trotzdem keine Sorgen über Datenschutz oder -sicherheit, Trollen oder Trojanern machen müssen. Gleichzeitig stellt das digitale Europa die Integration der analogen Welt bereit und vereint so alle Europäerinnen und Europäer in der neuen, europäischen, digitalen Welt.
Wo neue Ideen Wege des Fortschritts ebnen.
Wo rauschende Wasserwege durch einstige Staudämme der Bürokratie und Schluchten der Verweigerung fließen.
Wo Nachhaltigkeit von einem Schlagwort zu einer wirtschaftlichen Schlag- bzw. Pflanzkraft geworden ist und Startups noch europäischer arbeiten können.
Wo unsere Tugenden Unternehmen nicht abschrecken, sondern ein Magnet der Investition sind.
Wo Europas Sterne zu einer neuen Sonne verschmelzen, die uns und anderen Ländern neues Licht spendet.
Wir träumen in verschiedenen Sprachen, Schwedisch, Bulgarisch oder Portugiesisch, von einem miteinander sprechenden Europa, in dem wir die Visionen, Herausforderungen und Empfindungen eines jeden anderen kennen und verstehen. Auf Reisen ohne Schlagbäume verstehen wir den Menschen vor uns in der Warteschlange, verstehen, warum er die Rechnung nicht bezahlen kann. Wir sind nicht mehr angewiesen auf eine interpretierende Übersetzung einer nationalen Medienlandschaft. Diese haben wir, ohne unsere Vielfalt zu verlieren, spielend durch Einführen einer gemeinsamen, einheitlichen, zweiten, europaweiten Amtssprache erreicht. Am Frühstückstisch im Hotel in Paris lesen wir in der App von Europe News die neuesten Nachrichten mit einem Kommentar aus Malta und Estland. Im Hintergrund laufen die Nachrichten vom europäischen öffentlichen Rundfunk.
Wir träumen von einem Europa, in dem die Jugendlichen nach der Schule und die Menschen kurz vor dem Renteneintritt ein Jahr im Dienste Europas verbringen. Einerseits um in jungen Jahren selbst zu erfahren, was ein gemeinsamer europäischer Geist tatsächlich bewirken kann, und um, andererseits, den bereits älteren und erfahreneren Menschen Europas die Chance zu bieten, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einzubringen und weiterzugeben. Ein Maler aus Italien würde so vielleicht mit einem französischen Restaurantbesitzer im Ruhestand ins Gespräch kommen und seine Idee von Europa teilen. Der Geist Europas würde zum Alltag werden und für jeden spürbar sein. Wir träumen von einem stetigen Austausch zwischen den Generationen, damit die jüngeren Menschen auch die Gedanken, Anliegen und Sorgen der folgenden Generationen mitbekommen und nachvollziehen können, genauso wie andersherum. Wir möchten im Café, im Supermarkt oder auf dem Sportplatz offen für die individuelle Geschichte Europas sein. Wir träumen von einem Europa, das durch den Dialog verbunden ist und in dem das Lernen von den Bürgern Europas stetig fortläuft. Zu dieser Partizipation gehören ebenso direkte Bürgerräte, um den Sorgen und Hoffnungen aller Gehör zu verschaffen.
Wir träumen von einem europäischen Geist, der alle Bewohner des Kontinents mit Neugier auf dessen kulturelle Vielfalt erfüllt. Wir träumen davon, dass aus dem begeisterten Publikum des Dichterinnenwettbewerbs bei den vierjährlich stattfindenden Pythischen Spielen überzeugte Europäer hervorgehen, die sich an gemeinsamen Bildungskommissionen beteiligen. Wo das europäische Gedankengut in enger Zusammenarbeit mit den nationalen und regionalen Schulgremien in Lehrbüchern festgehalten wird. Von einem Europa, wo eine Filmemacherin aus Polen ihren Film in Dänemark mit einer französischen Produktion und einem italienischen Hauptdarsteller dreht.
Wir träumen von einem Europa, in dem ein ausgeklügeltes, innovatives und unkompliziertes Schnellbahnnetz internationales, nachhaltiges Reisen zwischen großen Städten vereinfacht. Ein Netzwerk, das es vor allem auch jungen Europäern ermöglicht, kostengünstig durch Europa zu reisen und so den interkulturellen Austausch fördert. Solch ein günstiges effizientes Schnellbahnnetzwerk wäre auch ein guter Ansatz, um den Tourismus nachhaltiger zu gestalten. In diesem Europa begegneten sich eine junge slowenische Abiturientin und ein portugiesischer Auszubildender mit einem Lächeln im Zug, weil es mittlerweile nicht nur ein Deutschland, sondern auch ein Europaticket gäbe. Eine dreiköpfige estnische Familie säße im Abteil nebenan, auf ihrem Weg in den Urlaub nach Italien.
Wir träumen von einem Europa, in dem wir uns weder vor inneren noch äußeren Gefahren fürchten müssen. Wir träumen von einem Europa, in dem die Sicherheitsbehörden sich so koordinieren, dass wir am Breitscheid Platz ohne Bedenken stehen, und im Bataclan Musik hören können, ohne uns ständig umdrehen zu müssen. In dem Frauen nachts nach Hause gehen, ohne das Pfefferspray in ihrer Tasche fest zu klammern. Wir träumen, wie wir gegenüber dem Ausland geeint und stark auftreten und gemeinsam für unseren Frieden und unsere Werte stehen, geeint durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wie wir Länder wie die Ukraine unterstützen, die tagtäglich unsere Freiheit in Europa verteidigen. Wie wir in der Welt geeint mit unserer wirtschaftlichen und diplomatischen Kraft das Selbstbestimmungsrecht der Völker bekräftigen, Minderheiten schützen und uns in der Welt für friedliche Konfliktlösung einsetzen.
Wir träumen, wie wir die Menschen, die zu uns kommen, mit Würde und Respekt behandeln und die unmenschlichen überfüllten Flüchtlingscamps sowie andere menschenverachtende Praktiken an unseren Außengrenzen einstellen. Wir träumen von einem Europa, das geeint in seinem Respekt für Menschenrechte dieses höchste Gut gemeinsam verteidigt.
Wir träumen von einem Europa, das die historische Vergangenheit seiner Länder anerkennt und trotzdem eine gemeinsame, aber auch differenzierte und kritische Geschichte erzählt. Dieses Europa möchte in einer komplexen Welt Verantwortung für sein Handeln übernehmen und Menschen wie Ländern in Not helfen. Vor allem in Momenten der Dunkelheit, wenn an den Grenzen von Europa unsere Werte von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit verteidigt werden. Wir träumen von europäischen Städten, in denen Menschen aus aller Welt ihre Chance bekommen sollen, sich selbst zu verwirklichen und ihren Teil zu einem friedlichen und toleranten Europa beizutragen. Genau wie die europäischen Staaten nicht nur miteinander in einen offenen, demokratischen Diskurs treten, sondern auch mit den anderen Ländern dieser Welt, so soll Europa einen respektvollen und ideologiefreien Dialog zwischen den Menschen innerhalb seiner Städte fördern.
Wir träumen von einem demokratischen Europa, indem wir Bürger vom Geist der europäischen Idee beseelt in Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit füreinander und miteinander leben. Ein Europa, in dem wir sicher sein können, dass unsere individuellen und kollektiven Grundrechte von unabhängigen und transparenten Gerichten geschützt werden. Ein Europa, in dem wir Bürger unsere Interessen, Wünsche und Werte als aktive, tugendhafte und pluralistische Zivilgesellschaft leben können. Ein Europa, das flexibel, effektiv und konsequent entscheidungsfähig ist. Dessen Institutionen nicht abhängig von der momentanen Ausrichtung der politischen Regierung sind. Wir träumen von einer europäischen Republik, die sich in einer partizipativen verfassungsgebenden Versammlung gründet und für uns eine neue Epoche der europäischen Einigung und Friedensbildung entwickelt. In dieser Versammlung sehen wir Metzger, Bäuerinnen, Juristen, Franzosen, Arbeitslose, Basken, Briten, Bäcker, Kinder, Alte, Frauen, Männer. Wir erträumen eine Versammlung, in der alle, wirklich alle, Menschen repräsentiert werden, sind und wurden.
Einem Europa, in dem Frauen und Mädchen die gleichen Bildungsmöglichkeiten genießen wie Männer und Jungen. In dem Menschen auf Basis ihrer Leistung bezahlt werden und nicht ihres Geschlechts. In dem Frauen und Männer, Männer und Männer, Frauen und Frauen und alle dazwischen europaweit heiraten und adoptieren dürfen. In dem die Schutzsuchenden in die europäische Gemeinschaft aktiv integriert werden, z.B. durch Buddy-Programme, sofortige Arbeitserlaubnis und 1:1 Sprachkurse. In dem eine humane Grenzpolitik stattfindet, sprich: die Herausforderungen in den Krisenländern gezielt bekämpft werden und nicht an Europas Außengrenzen. In dem Offenheit und Toleranz herrschen und man über Stereotype gemeinsam lachen kann, anstatt sich gegenseitig zu verspotten.
Von diesem Europa träumten wir, mal ruhig, mal unruhig, schlafwandelnd, im Schlaf säuselnd, bis wir aufwachten und die Augen öffneten, um uns blickten und erkannten, dass der Traum kein Traum mehr, sondern längst in Erfüllung gegangen war. Wir hatten Europa Nacht um Nacht in die Wirklichkeit geträumt.
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Schlusscommuniqué der ersten Sommerakademie „Dreaming Europe“ vom 15. bis 18. Juni 2023 im Hotel Schloss Burgellern, veranstaltet von der Akademie 3 gGmbH
Autoren
Lisa Behringer | Leonie Weigert | Krisha Kops | Philip Hermes | Tim Balke | Basil Böhtel | Torge Stahl | Krystina Klymniuk | Max Strobel | Bendict Holland | Paul Scheub | Jakob Sonnenholzner
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